Pleasure (2021) | Film, Trailer, Kritik (2024)

Eine Filmkritik von Sebastian Seidler

Vom Treiben auf dem Fleischmarkt

Linnéa (Sofia Kappel) ist auf ihrem ersten p*rnoset. Die 19-jährige Schwedin soll eine junge, naive Austauschschülerin spielen, die von einem älteren Mann verführt wird. Der Regisseur will die Unschuld in ihren Augen sehen. Im p*rno mag die Penetration zwar echt sein, die Lust ist es nicht. Sie wird aufgeführt, angerichtet und zurechtgeschnitten. Es wird arrangiert, ausgeleuchtet, und die Stellungen werden gewechselt. Hat etwas nicht geklappt, muss man zurück auf Los.

Dann sitzt die junge Frau rücklings auf dem Mann. Und als wäre die Szene nicht bereits unangenehm genug, fällt der Blick auf die hässlichen Füße des Darstellers, die dort auf dem Sofa liegen, als würden sie nicht zum Rest gehören. Hinter all der Nacktheit, den Brüsten und dem erigierten Penis verschwindet der Körper, der zum bloßen Werkzeug reduziert wird. Ausgerechnet die Füße sind es, die den Körper mit all seiner Wucht in das Bild drängen lassen; obszöner geht es kaum. Da fällt all die ausgestellte männliche Potenz in sich zusammen, so wie diese ungeschützten Zehen nicht wissen, was sie da tun sollen.

Diese Szene steht beispielhaft für die Kunstfertigkeit, mit der Ninja Thyberg in Pleasure der p*rnografie andere komplexe Bilder entgegensetzt. Erzählt wird die Geschichte von Linnéa, die aus Schweden in die USA einreist, um in der Stadt der Engel als neuer Star am p*rnohimmel zu erstrahlen. Unter ihrem Künstlernamen Bella Cherry muss die junge Frau schnell feststellen, dass sie für den Weg nach oben nicht nur körperliche Grenzen überschreiten muss. Nur wer die Extreme wagt, wird unter all den anderen perfekten Körpern auffallen; und dafür muss man schließlich auch ein Stück seiner Seele verkaufen, denn auf dem Fleischmarkt gelten ganz eigene Regeln.

Pleasure ist sicherlich ein feministischer Film. Die p*rnoindustrie ist eine von Männern dominierte Welt, in der es nicht um die realistische Darstellung von Sex, sondern um die Konstruktion ganz bestimmter Filmkörper geht. Unser eigenes Begehren ist dabei von diesen Bilderwelten gar nicht mehr zu lösen, weil der male gaze auch in den sozialen Medien, auf Instagram und Co. reproduziert wird. Zwar mag es da nicht so explizit zugehen, die Posen und aufreizenden Bewegungen sind dieselben. Dies macht Thyberg sehr schnell deutlich, wenn immer wieder die Wichtigkeit der Selbstdarstellung betont wird und Linnéa/Bella freizügige Selfies postet. p*rnographie, so kann man Pleasure verstehen, ist nicht einfach der p*rnofilm. Es ist eine alltagsumspannende Struktur bestimmter Geschlechterbilder und sexueller Fantasien.

Unter dieser Struktur leiden jedoch nicht nur die Frauen, wenngleich die sexuelle Gewalt sich mehrheitlich gegen den weiblichen oder nicht cis-geschlechtliche Körper richtet. Die p*rnografie als ökonomischer Markt beutet ebenso Männer und insbesondere Minderheiten aus. Linnéa/Bella überrascht ihren Co-Star Bear dabei, wie er sich Potenzmittel in den Penis inji*ziert. Nicht wenige männliche Stars sind gezwungen, auf potenzsteigernde Mittel zurückzugreifen, mitunter weil sie Dinge machen müssen, die sie selbst gar nicht erregen. Ein anderer Partner verliert zwischen den Takes seine Erektion und bitten Linnéa/Bella darum, an ihren Füße lecken zu dürfen, weil es ihn anturnt. Die Inszenierung von Sex mit all den Unterbrechungen, den Stellungswechseln und Posen hat mit Sexualität nicht viel zu tun: Es handelt sich um eine Ware. Wie Linnéa begehrt, erfahren wir an keiner Stelle, und die Frage ist, ob es diese junge Frau und ihre eigentlichen Sexualität noch gibt.

Umso spannender, dass bis auf die Hauptdarstellerin fast alle Rollen von echten p*rnostars gespielt werden. Manche Branchengrößen treten wie der bekannte Agent Mark Spiegler, gar als sie selbst auf. Die Rolle des liebenswürdigen Bear wird von Chris co*ck gespielt, der in der Tat für die Nische des Interracial p*rn gebucht wird. In diesen p*rnos werden oftmals zierliche weiße Frauen von gut bestückten Schwarzen Männern rangenommen: Es handelt sich um eine Fantasie, die auf der Angst basiert, dass der Schwarze Mann dem weißen die Frau wegnimmt. Der Einbruch dieser dokumentarisch-fiktionalen Überschneidungen lässt eine Spannung entstehen, verdoppelt die Inszenierung bis in eine mögliche Wahrheit hinein. Bear/Chris co*ck spricht es in Pleasure deutlich aus: Interracial p*rn ist reinster Rassismus, und er hat seine Rolle zu spielen. It’s all about the money, honey.

Linnéa verlässt das Kleinstadtleben in Schweden und zieht nach Los Angeles mit dem Ziel, der nächste große p*rnostar der Welt zu werden, aber der Weg zu ihrem Ziel entpuppt sich als holpriger, als sie es sich vorgestellt hat.

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